Schützenvereine, Musikvereine, Heimatvereine, kirchliche Gemeinschaften sowie in gewissem Sinn auch Sportclubs verschreiben sich – mal mehr, mal weniger – dem Brauchtum. Manchmal kommen spezielle Gruppen hinzu, die Besonderheiten einer Stadt bewahren und pflegen. In Oelde sind das vor allem die Pfingstenkranz-Gemeinschaften. Beim pfingstlichem Tanz um den Kranz handelt es sich um ein traditionelles Treiben, das sich nur in Oelde fndet. Etwa 250 Jahre alt mag es sein. Aber noch viel älter als der Pfingstenkranz ist ein Brauch, der in Oelde in den letzten Jahren kein großes Interesse mehr gefunden hat, die Margaretenkirmes. Aus dem kirchlichen Kichweihfest ist die „weltliche“ Margaretenkirmes entstanden und seit etwa 550 Jahren „in Gebrauch“. Diesen beiden Oelder Ur-Bräuchen widmet sich diese Seite.

Kirchweihe ohne kirchliches Amtsblatt

Von HANS ROCHOL

Wann ist eigentlich die Oelder St.-Johannes-Kirche geweiht worden? Laut bischöflicher Pressestelle in Münster hat sie nie eine Weihe erfahren. Begründung: Die Weihe hat nicht im kirchlichen Amtsblatt getanden. Nun, das Ereignis ist ja auch schon lange her; und der Termin wäre längst vergessen, gäbe es die Oelder Margaretenkirmes nicht. Kirmes ist vielerorts der weltliche Teil des Kirchweihfestes, dessen jeweils am Jahrestag der Weihe mit festlichen Gottesdiensten feierlich gedacht wird bzw. gedacht wurde. 

Über je mehr historisches Wissen die Landsleute verfügen und desto mehr Traditionen sie bewahrt haben, desto höher steht das Kirchweihfest im Kurs. Später vorgenommene Änderungen, Erweiterungen usw. sind bereits in die Kirchweihe einbezogen. Kirchweihen und Segnungen sind jedoch im Gegensatz zur Taufe kein Sakrament. 

Angenehm ist, dass die Oelder mitten im Sommer Kirmes feiern können. Am 20. Juli hat Margarete Namenstag. Rund um diesen Tag drehen sich die Karussells. Das Ganze hat eine Tradition, die höchstwahrscheinlich auf das Jahr 1483 zurückgreift, also weit über 500 Jahre alt ist. 

Fahnen in Blau (Stadt) und Gelb (Kirche) schmücken den Turm, wenn St. Johannes das Kichweihfest feiert.

Den Kopf verloren um des Himmelreiches willen

Hl. Margaretha, Pfarrpatronin in Wadersloh auf dem Drachen als Attribut (geschnitzt um 1515; Chorpfeiler links) .

Es ist auffallend: Oelde hat mit Johannes dem Täufer und Columba zwei Pfarrpatrone, die enthauptet wurden. Mit Margareta, an deren Fest Kirchweih bzw. Kirmes gefeiert wird, kommt eine weitere Heilige hinzu, die geköpft wurde. Sie ist zugleich Pfarrpatronin in Wadersloh und Ostenfelde.

Auch Paulus, der Bistumspatron, ist vermutlich enthauptet worden. Alle haben, um es Nachdenkens wert auszudrücken, den Kopf verloren um des Himmelreiches willen.

Hl. Margaretha: Ostenfelder Pfarrpatronin, auch hier als Nothelferin vor dem drohenden Drachen (Fenster über Ausgang).

Als vertraute Heilige gleichsam die Prokuristen Gottes wurden

Alois Schröer schreibt in „Die Kirche in Westfalen vor der Reformation“: „Die Heiligen wurden die vertrauten Freunde des Menschen. Sie gehörten zum Alltagsleben. Sie waren gekleidet und ausgerüstet wie das Volk selbst. Man kannte ihre Legende bis in die Einzelheiten und stand mit ihnen gewissermaßen auf Du. Sie wurden die unentbehrlichen Helfer in den Sorgen des Lebens, in der Not der Kriege, Fehden und Seuchen, von denen Land und Volk heimgesucht wurden. In Übereinstimmung mit der landläufigen Homiletik (Predigtlehre) war das Volk der Meinung, Gott habe dem einzelnen Heiligen das Privileg verliehen, in bestimmten Anliegen und Nöten Hilfe zu gewähren. Oft gab ein Zug aus der Legende oder ein Attribut des Bildes den Anlass zu dieser Differenzierung. Die Heiligen waren gleichsam die Prokuristen Gottes geworden.“

Margareta gilt als Patronin des Nährstandes, Katharina als Patronin des Lehrstandes, und Barbara als Patronin des Wehrstandes. Die Verehrung der drei weiblichen Nothelfer, deren Kult sich in Westfalen bis in das 11. und 12. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, nahm mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts einen steilen Anstieg, der um 1500 seinen Höhepunkt erreichte. 

Der Margaretentag im Sommer hatte es in sich. Er war für die Bauern einer der wichtigsten Lostage des Jahres. War das Wetter zuvor gut, begann an diesem Tag die Ernte; am 20. Juli wurde der bäuerliche Pachtzins bezahlt. In Münster fand zu Margareta der Send statt. Magareta ist Patronin der Fruchtbarkeit und nicht zuletzt Nothelferin. 

Sieben Pfarrgemeinden im Bistum Münster berufen sich auf die Heilige am 20. Juli, darunter Wadersloh und Ostenfelde. In Oelde ist die hl. Margarete halt in Erinnerung geblieben, weil an ihrem Namenstag im 15. Jahrhundert das Kirchweihfest gefeiert wurde.

Auf dem Erntewagen

Wie Ernte früher ging, das hat der Oelder Heimatverein 1990 vor- und nachgespielt.
Die Katharina-Glocke von 1483 ist die älteste Glocke im St.-Johannes-Kirchturm. Vier Brustbilder sind eingearbeitet, darunter das des Apostels Petrus (mit Schlüssel).

Starke Frauen

Die drei Frauen unter insgesamt 14 Nothelfern sind allesamt in Oelde präsent, erstarkende Frauen. Nach Katharina ist im Turm eine Glocke benannt. Ein altes Bild der heiligen Barbara befindet sich in der Sakristei der Johanneskirche. Und Kirchweihe und Kirmes schmücken sich mit dem Namen der heiligen Margareta. 

Über Kirmes heißt es im Duden: „Der Ausdruck für ‚Jahrmarkt, Volks-fest’ geht auf mhd. kirmesse zurück, das aus kirchmesse entstanden ist. Das Wort bezeichnet zunächst die zur Einweihung einer Kirche gelesene Messe, dann das Erinnerungsfest daran und schließlich – mit Bezug auf die weltlichen Belustigungen solcher Feste – den Jahrmarkt, das Volksfest.“ Die Kirmes also erinnert an das Kirchweihfest, das – weil mit ihrem Namen verbunden – an einem Margaretentag gefeiert worden sein muss, an einem 20. Juli also – aber welchen Jahres? 

Und de kercken mit den klocken verbranden se

1457 ist die Oelder Kirche gebrandschatzt worden. Es war die Zeit der Münsterischen Stiftsfehde. Zwischen 1450 und 1457 war ein Streit entbrannt um die Besetzung des Bischofstuhls in Münster und damit auch um die Herrschaft im Hochstift Münster. Zu jener Zeit war Ludolf von Oer Besitzer von Haus Geist. 

Bernhard zur Lippe und Konrad (Cordt) von Rietberg richteten damals großen Schaden in Oelde und Stromberg an. „Anno MCCCCLVII up Gereonis et Victoris (also am 10. Oktober 1457) do brande unde schinnede junkher Berendt von der Lippe unde Herr Cordt grawe tom Retberge datt dorp und kerspel Olde und Stromberge. Und de kercken mit den klocken to Olde verbranden se und deden dar groten schaden.“ 

Dem Erdboden gleich gemacht wurde mit der Kirche aller Wahrscheinlichkeit nach zugleich die Paulsburg , die Münsters Bischof 1380 in Oelde zum Schutz seines Territoriums gegen die Rhedaer Grafen errichtet hatte. Auch Ludolf von Oer war seinerzeit in die Auseinandersetzungen verstrickt, denn er unterhielt gute Beziehungen zu den Bischöfen Heinrich II. und Walram I. von Moers. Heinrichs II. Grabplatte befindet sich in der Stromberger Kreuzkirche. 

Steinerner Topf: Gefunden auf dem Areal der Paulsburg.

Jasper Volkerus hat die erste Glocke für die neue Kirche gegossen

Wo der Gottesdienst nach der Zerstörung der Oelder Kirche stattgefunden hat, ist unbekannt. Vermutlich mussten die Oelder benachbarte Kirchen aufsuchen. Ob die gesamte Kirche abbrannte oder ob die heutige Columbakapelle und der ehemalige spitze Turm (1863 abgerissen) stehen blieben, ist denkbar. Gewiss ist, dass eine neue Kirche gebaut werden musste. Das brauchte damals viel Zeit. Historisch greifbar wird der Neubau zuerst 1483. Aus diesem Jahr stammt die älteste Glocke der Kirche, die Katharina-Glocke. „Jasper me fecit“ – übersetzt: „Jasper hat mich gemacht“ – nennt den Glockengießer, der lange Zeit unbekannt war. Durch Forschungen wurde inzwischen herausgefunden, dass im 15. Jahrhundert in Münster zwei Glockengießer des Namens Volkerus tätig waren. Jasper, vermutlich der Sohn des Johannes, hat offensichtlich 1483 die Katharina-Glocke für Oelde fertiggestellt. 

Nebenbei bemerkt: Stadtchronist X. Westhoff weist in seinen Forschungen darauf hin, dass es in Oelde eine Katharina-Vikarie gegeben hat, die am Markt stand, des weiteren drei Altäre in der Kirche, von denen der dritte der hl. Katharina geweiht war. Außerdem erfolgte durch Papst Alexander VI. (von 1492 bis 1503 im Petrus-Amt) eine Ablassverleihung an die Pfarrkirche zu Oelde; der Ablass konnte u.a. am Tag der hl. Katharina (25. November) gewonnen werden. Die heilige Nothelferin hatte also in Oelde gewiss einen hohen Stellenwert. 

Oelder Juwel: das Sakramentshaus von 1491.



1491 fundiert: das Sakramentshaus (links) in der wiederaufgebauten Oelder St.-Johannes-Kirche. Den Engel mit dem Ewigen Licht fertigte Anton Mormann 1921 in Wiedenbrück an.

1483 - der 20. Juli war ein Sonntag

Jasper von Oer (sprich: Ohr) und seine Frau Anna von Hörde, seinerzeit die Herrschaft auf Haus Geist, haben 1491 das kostbare Sakramentshaus in der Johanneskirche gestiftet. In ihren Wappen sind sie am Sakramentshaus als Stifterehepaar ausgewiesen. Da sich das Paar ohnehin in vielfacher Weise als hochherziger Spender hervorgetan hat, ist es sehr gut möglich, dass es auch die Katharina-Glocke gestiftet hat. 

1483 wird, wie dargelegt, ein Zeitpunkt deutlich, in dem wieder zum Gottesdienst in der Kirche geläutet wird. Also muss die Gemeinde irgendwann Kirchweih gefeiert haben. Das aber kann nur an einem Margaretentag gewesen sein, denn sonst gäbe es in Oelde keine Margaretenkirmes. 1483 fiel der 20. Juli auf einen Sonntag. Umso wahrscheinlicher wird damit, dass der 20. Juli 1483 der Weihetag der Oelder St.-Johannes-Kirche ist, denn an einem Werktag ist die Weihe bestimmt nicht vollzogen worden. Werktags musste auf Äckern und Feldern geschuftet werden. 

Fürstbischof in Münster, der möglicherweise die Kirche geweiht hat, war der sehr beliebte Heinrich III. von Schwarzburg (1466-1496). Angemerkt sei: Dessen Nachfolger wurde sinnigerweise Konrad von Rietberg (1497-1508); sein Vater Cordt hatte 1457 Oelde und Stromberg überfallen und gebrandschatzt und die Zerstörungen angerichtet.

Noch etwas Kurioses sei angemerkt: Die Glocke hat sozusagen Martin Luther eingeläutet. Denn der Reformator wurde 1483 geboren, und seine Frau hieß Katharina.

Des Rätsels Lösung: Im Mittelalter war eine halbe Acht halt eine Vier

Gefragt haben wir nach einer Jahreszahl (Anno domini) und einem baulichen Juwel. Die Antwort: Die Zahl Vier hat je nach Zeitalter und Sprache unterschiedliche Glyphen: Im europäischen Mittelalter war die Schreibweise als halbe Acht gängig. So findet sie sich auch am Oelder Sakramentshaus  in St. Johannes. 1491 ist die Lösung. –

 Oeldes Juwel von 1491 ist also das Sakramentshaus in St. Johannes, von Jasper von Oer und Anna von Hörde auf Haus Geist gestiftet.

Interessant ist es, beim Rundgang mit Schulklassen beim Hinweis auf die Jahreszahl zu sehen, wie eifrig diskutiert wird. Das Schönste aber ist, dass die Begleitpersonen nicht vorsagen (können).

Haus Geist wurde im Übrigen zwischen 1560 und 1568 von Laurenz von Brachum für Franz von Loë als Schloss in Formen der „Lipperenaissance“ erbaut. 

Heutzutage präsentiert es sich nach wechselvoller Geschichte als Haus Geist. Nach einem Großbrand hat der Barockbaumeister und Paderborner Hofarchitekt Franz Christoph Nagel  1750 bis 1755 den Nordflügel  des imposanten Bauwerks nach eigenen Plänen umgestaltet. Nagel, dessen Oeuvre umfangreich ist,  war ein Zeitgenosse des Münsteraner Baumeisters Johann Conrad Schlaun (1695–1773). 

 

Die Weihe der Kirche 1483 betraf den Chor mit Altar und das vordere Mittelschiff in zwei Jochen. Der geweihten Kirche hinzugefügt wurden im Laufe der Zeit die beiden vorderen Seitenschiffe, bevor der Turm mit der Spitze um 1820 brannte und 1863 abgerissen wurde. Die Kirche erfuhr bis 1869 eine Vergrößerung auf fünf Joche mit vorgesetztem Westturm. 

Zwischen 1914 und 1919 kam eine neue Sakristei hinzu, 1966 an der Südseite wegen der vielen Gottesdienstbesucher eine Raumerweiterung. Sie wurde auf Wunsch der Gemeinde Marienkapelle genannt, weil dort die 1821 von Anton Mormann (Wiedenbrücker Schule) auf Wunsch von Dechant Bernard Haard geschaffene Madonna mit Kind (Maiandachts-Madonna) ihren Platz gefunden hatte.

Maienkönigin

Aus architektonischer Sicht ist die Schöpfung aus den 1960er Jahren fraglich, vom Künstlerischen her abbruchreif. Der Raum könnte aber nach Wegfall des Paulusheims als neuer Pfarrsaal im weitesten Sinne für die Seelsorge ausgestattet werden und damit gute Dienste leisten. 

Madonna aus Wiedenbrücker Schule.

Maria mit Kind – Die Maienkönigin (r.) gab der Marienkapelle in St. Johannes ihren Namen. Anton Mormann (Wiedenbrücker Schule) hat sie im Auftrag von Dechant Haard 1921 geschnitzt. 

Aus demselben Jahr stammt vom selben Künstler der Engel mit dem Ewigen Licht am Sakramentshhaus. 

Kirchweih „fortan ohne alle Gastmahlen und weltliche Lustbarkeiten“

Der Brauch, Kirchweih zu feiern, ist uralt; er lässt sich Ende des 4. Jahrhunderts erstmals in Jerusalem nachweisen. Im Westen ist er seit dem 5. Jahrhundert bezeugt, früh schon angereichert mit Volksbräuchen. Jenseits der liturgischen Feier wird die Kirmes seit dem Mittelalter zum wichtigsten bäuerlichen Jahresfest. Mit üppigem Essen und Trinken, Tanz und anderen Volksbelustigungen dauerte das Fest, das die ganze Sippe zusammenführte (oft mit Totengedenken am zweiten Tag) mehrere Tage. Die Obrigkeit sah sich nicht selten veranlasst, gegen „Ausschweifungen“ einzuschreiten. Die im Geist der Aufklärung erlassenen Feiertagseingrenzungen des 18. Jahrhunderts verfügten deshalb aus sachfremden Motiven durchweg ein einheitliches Datum für die Feier der Kirchweihe, wobei sich allerdings vielfach Volkswiderstand regte. Bis 1769 haben die Oelder jedenfalls zum 20. Juli den Jahrestag der Kirchweihe gefeiert. Mit bischöflicher Verfügung vom 15. März 1770 wurden dann alle Kirchweihfeste (mit Ausnahme der Kathedralkirche in Münster) auf den dritten Oktobersonntag verlegt und sollten „fortan ohne alle Gastmahlen und weltliche Lustbarkeiten“ begangen werden. Die Margaretenkirmes, die sich von der kirchlichen Erinnerungsfeier an den Weihetag der Kirche lösen musste, blieb dennoch als weltliches Volksfest erhalten.

Scheesken fahren in Otto Gehners Kinderkarussel - so schön war in den 1950er Jahren die Kirmes auf Sommers Wiese.
Das Riesenrad gehörte lange Zeit zur Grundausstattung der Oelder Margaretenkirmes. Zuletzt drehte es sich auf dem Markt mitten in der Stadt.

Die bischöfliche Verfügung war bis 1969 in Kraft. Nach dem Vaticanum II gilt, dass jede Kirche ihre Kirchweihe am Jahrestag ihrer Weihe, sofern er bekannt ist, als Hochfest feiern soll. Diese Änderung veranlasste Pfarrer Hortmann (1976-2003), das Kirchweihfest neu zu beleben, doch nach seiner Emeritierung verschwand es bald wieder.
Ein gemeinsames Jahresgedächtnis gibt es im Bistum Münster am 13. Oktober in jenen Kirchen, deren Weihetag nicht bekannt ist. In Oelde wird das Kirchweihfest in St.Joseph im September gefeiert.

Ganz vorne stand die Bude mit Lohmanns schwarzen Zuckerstangen

Die Kirmes hat noch in den 50er Jahren auf Sommers Wiese stattgefunden. Unter den zahlreichen Geschäften entdeckte man zuerst die Bude mit Lohmanns schwarzen Zuckerstangen, dann Otto Gehners schönes Kinderkarussell mit Holzpferdchen und anderen Späßen, dahinter Kettenkarussell, seitlich Schiffschaukel, Riesenrad und Autoselbstfahrer. Schießbude, Losbude usw. waren selbstverständlich auch vertreten, gelegentlich sogar eine Geisterbahn. 

Hinten auf dem Platz drehte sich die Raketenfahrt zum Mond oder die Raupe mit Verdeck, unter dem gern geknutscht und geküsst wurde, was durchaus reizvoll war, weil sich so was zu damaliger Zeit außerhalb der Ehe und in aller Öffentlichkeit nicht gehörte und zu beichten war. 

Am letzten Tag der Margaretenkirmes, dem Montag, gab sich die Oelder Kaufmannschaft altem Brauch gemäß auf der Kirmes ein Stelldichein.

Kirchmes gibt es in Oelde seit etwa 1483, mal hier, mal dort, in den 1970/80er Jahren fand sie am Ende vom Deipenweg auf der alten Jahnkampfbahn statt. Die Verlegung an den Stadtrand hat ihr nicht gut getan.

Als nach dem Bau der Konrad-Adenauer-Allee (1976) Sommers Wiese nicht mehr zur Verfügung stand, wurde die Kirmes zur alten Jahnkampfbahn am Deipenweg an den Stadtrand verlegt. Die Verlegung und der Umstand, dass sie zumeist in die Schulferien fiel, haben der Oelder Kirmes stark zugesetzt. 1990 kehrte sie auf Anregung des Oelder Heimatvereins und mit Unterstützung der Pfarrgemeinde St. Johannes an ihren Ursprungsort zurück, in die Innenstadt rund um St. Johannes. Veranlassung dazu gab der Wochenmarkt, der zuvor schon in die Innenstadt verlegt worden war.

Autoselbstfahrer auf dem Hermann-Johenning-Platz.

In Telgte gibt es den Mariä-Geburts-Markt, in Ennigerloh den Mettwurstmarkt, in Enniger den Enniger Markt, in Warendorf den Fettmarkt, in Rheda den bezaubernden Andreasmarkt – allesamt geschätzte und gut besuchte Jahrmärkte rundum. Die Oelder jedoch stehen ihrer Margaretenkirmes und auch ihrem Kirchweihfest eher reserviert gegenüber. Da freut man sich, dass wenigstens Stromberg mit dem Pflaumenmarkt eine alte heimatliche Traditionen aufgreift.

Die Rückkehr der Margaretenkirmes 1990 ins Stadtzentrum war anfangs sehr erfolgreich, später klappte das Management nicht mehr richtig.

Der Pfingstenkranz als Immaterielles Kulturerbe?

Zahlreiche Traditionen zählen zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit aus aller Welt, die die UNESCO in eine entsprechende Liste aufgenommen hat. Ausschlaggebend für die Erhaltung Immateriellen Kulturerbes ist, dass Menschen ihre Traditionen und Werte, ihr Wissen und Können von Generation zu Generation aktiv weitergeben. 

Im Oelder Stadtrat ist angeregt worden, auch das Oelder Pfingstenkranz-Brauchtum in diese Liste aufzunehmen. Es ist vom Termin her heutzutage einmalig. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass fast das gleiche Brauchtum in Orten des Münsterlandes nicht wie in Oelde zu Pfingsten, sondern zu Lamberti am 18. September um den Herbstbeginn herum gepflegt wird.

Es geht los! Wir öffnen jetzt das Taubenhaus am Pfingstenkranz.

Amtsoberinspektor beschrieb das Brauchtum im Jahr 1908

Seit wann es den Pfingstenkranz in Oelde gibt, ist unbekannt. Pfingsten, der Termin dieses Oelder Brauchtums, ist das Rätsel; die „Zutaten“ in Form von Liedern, Spielen, Tänzen und Lichtern sind größtenteils wie beim Lambertifest in Münster bekannt. Volkskundler haben herausgefunden, dass ein erster Bericht über den Lambertibrauch in das Jahr 1781 datiert. Es war damals besonders in den Kreisen der Mägde und Arbeitergesellen sehr beliebt und stellte in Münster einen Höhepunkt im Wechsel der Jahreszeiten dar. Rund um eine mit Grün geschmückte Pyramide, die in Oelde Pfingstenkranz heißt, fand bis spät in die Nacht der Trubel statt.

Erklärungsversuche über den Ursprung des Lamberti-Lichterfestes in Münster gibt es mehrere: Zum einen ist an das Patronatsfest des heiligen Lambert, Bischof von Maastricht und Patron von Münsters Stadt- und Marktkirche St. Lamberti, zu denken. Sein Festtag ist im Bistum Münster der 18. September, der Höhe- und Schlusspunkt der abendlichen Treffen auf den Straßen, in den Höfen oder auf Plätzen der Stadt Münster. Dennoch hat die Lustbarkeit offensichtlich keinen religiösen Hintergrund. Wahrscheinlich war es ursprünglich eine Feier im bäuerlichen Umfeld zu Beginn der dunklen Jahreszeit, denn Mitte September, damit in zeitlicher Nähe zum Patronatsfest der Lambertikirche, wurde die Arbeitszeit in Münster um eineinhalb Stunden verkürzt.

Die älteste bislang bekannte Beschreibung des Oelder Pfingstenkranz-Brauchtums stammt aus dem Jahr 1908. Jacob Bäcker, Gründungsmitglied des Heimatvereins und Amtsobersekretär, hat den Pfingstenkranz-Brauch (in „Oelder Deutsch“ auch Pingstenkranz ohne „f“ geschrieben), in jungen Jahren protokolliert. Sein Aufsatz (aus „Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische Volkskunde“ – 5. Jahrgang) lässt darauf schließen, dass der Autor den Brauch kannte und erlebt hat, aber offensichtlich um seinen Ursprung nicht wusste. Pfarrchronik und die „Glocke“ schweigen bis dahin über den Pfingstenkranz.

Giff mie en Penning för'n Pingstenkranz

Jacob Bäcker schreibt 1908: „Ein alter und eigenartiger Volksbrauch ist der Pingstenkranz (Pfingstreigen, Pfingstenkranz), der an den beiden Pfingstfeiertagen alljährlich in dem Landstädtchen Oelde im Kreise Beckum wiederholt wird, und der sich in der weiteren Umgebung von Oelde nicht vorfindet.

Bereits 4 Wochen vor Pfingsten beginnen die Buben mit dem Einsammeln des Pfingstenkranzpfennigs, indem sie die Straßenpassanten mit den Worten: ‘Onkel (oder Tante) giff mie en Penning för den Pingstenkranz’ um eine Gabe bitten. Die Verwaltung des gesammelten Geldes übernimmt ein älterer Knabe. Mit dem Erlöse werden die durch Schmückung des Pingstenkranzes entstehenden Kosten gedeckt. 

Dieser besteht aus drei etwa 1½ m langen Holzstangen, die pyramidenförmig zusammengestellt und mit grünem Laub, Blumen und bunten Fähnchen geschmückt werden. Nachdem der Pingstenkranz am Tage vor Pfingsten auf vorstehende Art fertiggestellt ist, wird er am Nachmittage des 1. Pfingsttages, an dazu bestimmten Stellen der Stadt, mitten auf der Straße, aufgestellt.

Nach Schluss des Nachmittags-Gottesdienstes beginnen die Kinder um den Pingstenkranz den Reigen aufzuführen und singen hierbei die weiter unten folgenden Lieder; auch werden abwechselnd Kirchenlieder (besonders Pfingst- und Osterlieder) und allgemein bekannte Volkslieder gesungen. 

Abwechselung bringt sodann das sogenannte ‚Kraup Fössken’. Bei Anstimmung des Liedes: ‚Kraup Fössken düer den Tann’ usw. löst sich der Reigen auf, bildet eine lange Kette und durchzieht dann mehrere Strassen der Stadt, um schliesslich zum Pingstenkranz zurückzukehren. Sobald nun diese Kette sich in Bewegung setzt, fassen sich die beiden an der Spitze befindlichen Kinder – meist Knaben – an der Hand, bilden, indem sie die Arme hochhalten, einen Bogen, wodurch dann die Kinderschar zieht und zwar der Schluss der Kette zuerst. Dies wiederholt sich, bis der Zug wieder beim Pingstenkranz angelangt ist. 

Kommt der Zug am Hause eines Schneiders vorbei, dann wird, an Stelle des sich sonst immer wiederholenden ‚Kraup Fössken düer den Tann’, das Lied: ‚Schneider . . . (folgt Name) wull wuol näggen’ usw. gesungen.

Pfingstenkranz an St. Joseph.

Kehrt der Zug zum Pingstenkranz zurück, dann beginnt wieder die Aufführung des Reigens. Beim Eintritt der Dunkelheit werden am Pingstenkranz Fackeln befestigt und angezündet. Die Kinder verschwinden meist, an ihre Stelle treten ältere Knaben und Mädchen; ie führen dasselbe auf, wie die Kinder. In frühe-

rer Zeit wurde der Pingstenkranz bis tief in die Nacht hinein ausgedehnt; seit mehreren Jahren wird er jedoch, auf Einwirkung der Polizei, schon bei Beginn der Dunkelheit beendet. Infolgedessen hat auch das Interesse für den Pingstenkranz, namentlich bei der älteren Jugend, bedeutend nachgelassen.“

Und wenn de Buer ne Meerske hat, dann kriegt er auch ein Kind.

 O Buer, wat kost ju Kirmeshai?

Jacob Bäcker hat zudem die Lieder aufgelistet, die am Pfingstenkranz gesungen werden und seinerzeit auch gesungen wurden. Nachstehend folgen alle zehn Lieder, wie sie der Chronist im Jahr 1908 aufgeschrieben  hat: 

„I. 1.    O Buer, wat kost ju Hai?
    O Buer, wat kost ju Hai?
    O Buer, wat kost ju Kirmeshai?
Et gait so viel für Kirmeshai.
O Buer, wat kost ju Hai?
2.    Min Hai dat kost en Kron,
Min Hai dat kost en Kron,
Min Hai dat kost en Kirmeskron,
Et gait so viel für Kirmeskron,
Min Hai dat kost en Kron.
3.    Ju Hai is viel to düer, usw.
4.    Min Hai is nicht to düer, usw.
5.    Nu giff dem Buer ne Frau, usw.
6.    Dat is mine laive Frau, usw.
7.    Nu giff dem Buer en Kind,

8.    Dat is min laiwe Kind, usw.
9.    Nu giff dem Buer ne Magd, usw.
10.    Dat is min laiwe Magd, usw.
11.    Nu giff dem Buer’n Knecht…
12.    Dat is min laiwe Knecht, usw.
13.    Nu giff dem Buer en Schub!

Es wiederholt sich Zeile 1 in den Strophen 3 bis 13 in derselben Weise, wie in den Strophen 1 und 2 ausgeführt.
Bei Anstimmung des vorstehenden Liedes tritt ein größerer Knabe aus dem Reigen und nimmt in der Mitte desselben, beim Pingstenkranz, Aufstellung. Er stellt den „Buer“ dar und gibt die aus Strophe 2, 4 usw. sich ergebenden Erwiderungen. Bei Strophe 6, 8 usf. bezeichnet er jedesmal gleichzeitig diejenigen Personen, die als Frau, Kind usw. fungieren sollen; diese treten in die Mitte des Kreises. Bei Strophe 13 wird der „Buer“ aus dem Kreise getrieben

So nehme dir ein Kirmes-Weib

II. – 1. O Bauer, hast du Geld? / O Bauer, hast du Geld? / O Bauer, hast du Kirmes-Geld? / Kirmes-, Kirmes-, Kirmes-Geld? / O Bauer, hast du Geld? / 2. So nehme dir ein Weib, / So nehme dir ein Weib, / So nehme dir ein Kirmes-Weib, / Kirmes-, Kirmes-, Kirmes-Weib, / So nehme dir ein Weib. / 3. So setzt euch auf die Erd, usw. / 4. So prügel‘ du dein Weib, usw. / 5. Steht auf von der Erd‘, usw. / 6. Marschiert euch aus dem Kreis, usw. / Die Handlung hierbei ist ähnlich, wie beim Liede Nr. I und ergibt sich aus dem Text.

III. – Kraup Fössken düer den Taun, / Ick sin schwatt un du bis braun. / Jagen wir das Häslein wohl düer den Taun. / Häslein jagen wollen wir. / Kraup Fössken düer den Taun. 

IV. – Schneider (folgt Name) wull wuol näggen, / Aone Naot, aone Staot, aone enen Finger-hot. / Der Schneider und die Laus, / Die bauten sich ein Haus, / Da nahm die Laus wohl überhand, / Und warf den Schneider an die Wand.

V. – 1. Guter Freund, ich frage dir. Dieses ursprünglich jüdische Kinderlied ist so interessant, dass es eine ausführliche Beschreibung verdient; siehe unten.

VI. – 1. Ich bin die Frau von Toren, / Zum Spielen auserkoren. / Bedienen sollst du mich, bedienen. / 2. Ihre Gnaden aufzuwarten, / Wir dürfen spielen Karten. / Ihre Gnaden zu bedienen, / Sind wir vor ihr erschienen, erschienen. / Beim Beginn dieses Liedes tritt ein Mädchen in den Kreis, bezeichnet beim 3. Vers der 1. Strophe – welche von ihm allein gesungen wird – diejenige Person, die sich zu ihm zu begeben hat. Diese singt darauf Strophe 2 als Erwiderung. Es wiederholt sich dieses Spiel so lange, bis der Reigen sich aufgelöst hat.

VII. – 1. Alles, was auf Erden schwebet, / Ist die Taub‘ das schönste Tier. / Tauben, das sind schöne Tiere, / Tauben die gefallen mir, / Tauben die gefallen, Tauben die gefallen, die gefallen mir.

O Bauer, hast du Geld?

 
2. Morgens früh um halber achte, / Steh‘ ich von mein Bettchen auf, / Um zu sehen, was Tauben machen, / Ob sie schlafen oder wachen, / Ob sie noch am Leben, ob sie noch am Leben, noch am Leben sind. / 3. Morgens dann um halber zehne / Fliegen sie nach Nahrung aus. / 0, dann wird mir angst und wehe, / Wenn ich keine Tauben sehe, / Wenn ich keine Tauben, wenn ich keine Tauben, keine Tauben seh‘. / 4. Abends spät, dann kommen sie wieder, / Fremde haben sie mitgebracht. / 0, dann kehren sie bei mir ein, / Dass sie möchten sicher sein, / Dass sie möchten sicher, dass sie möchten sicher, vor den Raubvögeln sein.

Als Fürstin sollst du leben, in Samt und Seide schweben

Dat is mine laive Frau!
Schönhannchen in der Mühle...
Komm mit mir auf mein Schloss.


VIII. – Wir öffnen jetzt das Taubenhaus, / Die Tauben sie fliegen so froh heraus, / Sie fliegen auf das grüne Feld, / Wo es ihnen gar so gut gefällt. / Jetzt kehren sie ein, zur süssen Ruh‘, / Jetzt schliessen wir wieder das Häuschen zu.
Bei diesem Spiele nehmen die kleinen Kinder (Tauben) in der Mitte des Reigens Aufstellung. Die grösseren Kinder führen den Reigen auf und singen hierbei das vorstehende Lied. Bei Vers 2 nimmt der Reigen eine grössere Ausdehnung an und schlüpfen die kleinen Kinder unter den Armen der grösseren her aus dem Kreise. Beim 5. Vers kehren sie auf demselben Wege zurück und schliesst sich dann‘ der Reigen wieder fester zusammen. Dieses Spiel wird mehrmals wiederholt.

IX. – Grüne Seide war so schön, / Darum spann man sieben Jahr‘. / Sieben Jahr‘ gesponnen, / Dreht sich Fräulein (Herr) … (folgt Name) um. / Fräulein (Herr) hat sich umgedreht. / Das hat sie (er) wohl von mir gelernt. / Kurante, Kutante, Kurik.
Bei Zeile 4 dieses Liedes dreht sich die genannte Person um. Dieses wiederholt sich, bis der ganze Reigen eine umgekehrte Stellung eingenommen hat.

X. – Beim fröhlichen Spielen, beim lustigen Sinn, / Wenn’s einer verschwiegen, kommt’s andern in Sinn. / So musst du erraten, erraten, wer’s ist. / Freundin (Freund), du hast falsch geraten, / Komm‘ verbessere deinen Schaden, / Komm‘ und rat‘ zum zweitenmal.
Dies wird wiederholt, bis richtig geraten ist; dann wird folgendes gesungen: / Freundin (Freund), du hast recht geraten, / Komm‘, marschier‘ dich aus dem Kreis. / Eine Person begibt sich beim vorstehenden Liede in den Kreis; ihr werden dann die Augen zugebunden. Eine andere stellt sich hinter ihr auf und muss erraten, wer hinter ihr steht (Blindekuh).“

Einige Lieder, die gern gesungen werden, hat Jacob Bäcker 1908 nicht aufgeführt, darunter diese: Schönhannchen in der Mühle … / sowie / Und wer im Januar geboren ist…

XI. – Schönhannchen in der Mühle, / Saß eines Abends kühle / An ihrem Rad und spann. / 2.) Kaum war sie angefangen, / Da kam ein Herr gegangen; / Ein Ritter jung und schön. / 3.) Ach, Mädchen, hast du Eltern? / Ach, nein ich habe keine! / Komm‘ mit mir auf mein Schloss! / 4.) Als Fürstin sollst du leben, / In Samt und Seide schweben, / Mit Gold und Edelsteinen / sollst du bekleidet sein.
Ein schönes Mädchen sitzt oder kniet im Kreis und dreht das Spinnrad oder deutet die Tätigkeit an. Ein junger Mann überrascht das Waisenkind Hannchen dabei und nimmt sich seiner an. Die  beiden fassen sich ans Händchen, heben ihre Hände und lassen den Kreis drunter her laufen. Wenn sie die Hände vor einem Mädchen fallen lassen, ist dieses das nächste Schönhannchen.

XII. – Und wer im Januar geboren ist, / tritt ein, tritt ein, tritt ein. / Der mache im Kreis einen tiefen Knicks, / recht tief, recht tief, recht tief. / Mädel dreh dich, Mädel dreh, Mädel hopsasasa; / Mädel dreh dich, Mädel dreh, Mädel hopsasasa.
Das Lied wird so lange gesungen, bis das komplette Jahr mit all seinen zwölf Abschnitten genannt wurde und jeder weiß, wer in welchem Monat Geburtstag hat.

Entstanden aus einem jüdischen Liedchen zum Passahfest

„Eins, wer weiß es?“ ist ein altes jüdisches Kinderlied zum Passahfest. Daraus entstand "Guter Freund", das am Pfingstenkranz gesungen wird.

Guter Freund, ich frage dir – ein ursprünglich jüdisches Lied – verdient es, ausführlicher erklärt zu werden. „Eins, wer weiß es?“ ist ein altes jüdisches Kinderlied zum Passahfest. So beginnt es: „Eins, wer weiß es? / Eins, ich weiß es! / Eins ist unser Gott im Himmel und auf Erden.“
Alsdann wird in weiteren Strophen jüdisches Leben und Wissen abgefragt. Nach diesem Vorbild dürfte unser Lied „Guter Freund, ich frage dir“ entstanden sein. Weil der Westfale im Plattdeutschen mit Dativ (Wemfall) und Akkusativ (Wenfall) nicht gerade zimperlich umgeht, fragt er eben nach dir und liegt damit sogar nahe bei Goethe, der in seinem „Faust“ den in der rötlichen Flamme erscheinenden Geist ebenfalls im damals üblichen Dativ fragen lässt: „Wer ruft mir?“ Oder etwas wissenschaftlicher formuliert: „Der vom Verb (in diesem Fall „fragen“) abhängige Casus (Fall) hat sich im Hochdeutschen seit Goethes Zeiten bis heute vom Dativ (mir/dir) zum Akkusativ (mich/dich) verändert.“

Unser Guter-Freund-Lied ist ein Ratespiel zwischen dem guten und dem besten Freund, dem jeweils der Chor der Kinder in althergebrachter Manier einer Christenlehre die Antwort gibt. Zwiegesang: „Guter Freund, ich frage dir! / Bester Freund, was frägst du mir? / Sag mal, was ist eine!“ Chor: „Einmal eins ist Gott allein, der da lebt, der da schwebt im Himmel und auf Erden.“ Die erste Strophe des christlichen Liedes stimmt also mit der ersten Strophe des jüdischen Liedes überein.

So geht es weiter: Zwei Tafeln Moses (jüdisch und christlich: die Bundestafeln). Drei Patriarchen (jüdisch und christlich: die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob). Vier Evangelisten (christlich: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes; jüdisch: die Mütter Sara, Rebekka, Rahel und Lea). Fünf Gebote der (katholischen) Kirche (Wer kennt sie noch? siehe Gotteslob 29,7) – Jüdisch: die Bücher des Moses mit Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium). Sechs Krüge mit rotem Wein schenkt der Herr zu Kana ein (christlich; jüdisch: Ordnungen der Mischna. Die  Mischna, eingeteilt in sechs ‚Ordnungen‘, ist die erste größere Niederschrift der mündlichen Tora). Sieben Sakramente (jüdisch: Wochentage). Acht Seligkeiten (jüdisch: Tage bis zur Beschneidung). Neun Chöre der Engel (jüdisch: Monde der Schwangerschaft). Zehn Gebote Gottes (jüdisch und christlich: die zehn Gebote). Elftausend Märtyrer (jüdisch: die elf Sterne in Josephs Traum). Zwölf Apostel Jesu (jüdisch: die Stämme Israels). Die Dreizehn im jüdischen Lied fragt noch nach den Eigenschaften Gottes. Im Oelder Lied wird die Frage nach 13 alten Weibern gestellt.

Vier Strophen also sind jüdisch-christlich, die erste, zweite, dritte und zehnte. Die fünfte und siebte Strophe sind katholisch ausgerichtet; die evangelische Kirche kennt keine Kirchengebote, und statt sieben gibt es dort nur zwei Sakramente. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass die „katholische Fassung“ des Liedes zur Zeit der Gegenreformation entstanden ist.

Die Zahl ‚Elf‘ hat es in sich. Die jüdische Fassung bleibt am Ball, d.h. orientiert sich an der Bibel. Sie erinnert an die elf Sterne in Josephs Traum (Genesis 37,9.). In Oelde werden im Lied 11 000 Märtyrer gepriesen, obwohl es laut Legende ‚nur‘ 10 000 waren (Gedenktag 22. Juni); es sei denn, die Zahl Elf im Oelder Gesang erinnert an die heilige Ursula von Köln, die mit 11 000 (oder waren es doch nur elf?) Gefährtinnen den Märtyrertod erlitt. Die Münster-Fassung wiederum mit den törichten Jungfrauen ist zwar biblisch, aber es waren derer fünf, nicht aber elf (Matthäus 25,1-13).

Notgeld von 1921 mit einzigartigem Brauch in Oelde: Mit denselben Liedern und Spielen wie in Münster beim Lambertifest wird in Oelde zu Pfingsten um den Pfingstenkranz getanzt.