Der Täufer und die Taube
Text und Bilder von HANS ROCHOL
Im Kirchspiel Oelde fanden Archäologen 2004 zwei Kreuzfibeln, die aus der Mitte des 9. Jahrhunderts stammen. „Beide Fibeln“, schreiben dazu die Forscher in ihrem Grabungsbericht, „stellen die ältesten christlichen Zeugnisse aus Oelde dar und beweisen, dass die Bauern im Weitkamp bereits Christen waren.“ Daraus leitet sich die aufschlussreiche Frage ab: Wann ist Oelde eigentlich christlich geworden? Welche Rolle spielte Liudger dabei, welche Beornrad und Columba, die kaum einer kennt? Was ereignete sich um das Jahr 785 zwischen Markt und Carl-Haver-Platz an der Köttelbecke, die heute vornehm Rathausbach genannt wird, weil dort einmal das Rathaus stand.


Bonifatius und Liudger
Schriftlich Erwähnung fand der Ort Oelde zum ersten Mal um 890, zunächst als Ulidi, bald danach als Ulithi. Beide Nennungen sind im Urbar des Klosters Werden festgehalten, das auf den Missionar und Heiligen Liudger, Münsters ersten Bischof, zurückgeht.
Liudger, um 742 bei Utrecht geboren, trug schon früh den Wunsch in sich, Priester zu werden. Eine Begegnung mit dem hl. Bonifatius hat das Leben Liudgers entscheidend geprägt. Er schreibt etwa als Zwölfjähriger darüber: „Es war mir vergönnt, ihn mit eigenen Augen zu sehen, einen Greis mit schneeweißem Haar, hinfällig vor Alter, aber mit Tugenden und Verdiensten geschmückt.“ Der hl. Bonifatius, „Apostel der Deutschen“ genannt, formte und verankerte als Glaubensbote das Christentum in deutschen Landen nachhaltig.
Um das Jahr 673 unter dem Namen Winfried in der südwest-englischen Grafschaft Wessex geboren, wurde er Mönch in der Benediktiner-Abtei Nursling unweit des heutigen Southampton. 716 entschied sich Winfried, von England ins Frankenreich zu wechseln, um auf dem Kontinent zu missionieren, zunächst bei den Friesen, dort allerdings ohne Erfolg. 719 reiste er zu Papst Gregor II. nach Rom, um sich Rückendeckung zu holen. Winfried bekam dort nicht nur den päpstlichen Auftrag, im Frankenreich zu missionieren, sondern auch mit Bonifatius einen neuen, lateinischen Namen, der übersetzt so viel bedeutet wie „Gutes tun“ bzw. „der Wohltäter“.
Bonifatius strukturierte die Kirche im Osten des Frankenreichs. Er gründete zahlreiche Klöster, unter anderem Fulda, das sich zu kulturellen Zentrum entwickeln sollte Er selbst wurde Bischof von Mainz. Legendär wurde er, als er eigenhändig mit der Axt die Donar-Eiche bei Fritzlar fällte. Der dem Gott Donar geweihte Baum fiel ohne Konsequenzen und Folgen einfach nur um. Mit dem bekanntesten Zeugnis seiner Missionsarbeit bewies er zum Erstaunen des Volkes die Machtlosigkeit der heidnischen Götter.
Im biblischen Alter von 80 Jahren unternahm Bonifatius noch einmal eine Missionsreise nach Friesland. Dabei hat er offensichtlich sowohl Soest als auch Oelde und Warendorf durchquert, denn an diesen Orten entdeckten Archäologen sogenannte Bonifatius-Fibeln, worauf der Missionar mit der Axt abgebildet ist. Eine Fibel oder Schließe ist eine Gewandnadel zum Zusammenhalten von Kleidung. Über den Fund in Oelde gibt es, wohl zu Recht aus Vorsicht vor Raubgräbern, keine Veröffentlichung.
Bonifatius sollte die Missionsreise nach Friesland nicht überleben. Wo er 40 Jahre zuvor bereits gescheitert war, wurde er am 5. Juni 754 nahe Dokkum erschlagen. Der hl. Bonifatius, Apostel der Deutschen, fand sein Grab in Fulda. Er ist zwar vermutlich durch Oelde gestreift, aber missioniert hat er an diesem Ort wohl nicht. Deshalb zurück zur Frage: Wann ist Oelde christlich geworden?
Karl, Beornrad, Liudger und die anderen
Als Missionar in Oelde galt wie im gesamten Bistum Münster lange Zeit Liudger, dessen großes Vorbild Bonifatius war. Im Auftrag Karls des Großen übernahm Liudger 792 die Missionierung der Westsachen, kam damit ins heutige Münsterland. 805 wurde er in Köln zum ersten Bischof von Münster geweiht. Er starb 809 in Billerbeck. Sein Grab befindet sich in Werden.
Doch noch vor Liudger (742-809) hat der Abt Beornrad (Bernrad) als Missionsleiter (gest. 797) Spuren hinterlassen, die deutlich darauf hinweisen, dass er offensichtlich auf Veranlassung Karls des Großen bereits etwa ab 785 oder früher im Ostteil des heutigen Bistums Münster das Christentum grundgelegt hat. Beornrad war zu seiner Zeit ein bedeutender Mann; seit 775 leitete er als Abt das Kloster Echternach, und ab 785/6 stand er zudem als Erzbischof dem Erzbistum Sens im Frankenreich vor, in dem die Verehrung der hl. Columba einen hohen Stellenwert einnahm.
Dass Beornrad bei der Mission in Sachsen mitgemischt hat und zwar, noch bevor Liudger seine Tätigkeit aufnahm, wird inzwischen immer deutlicher. Dazu beigetragen hat insbesondere die Forschungsarbeit von Edeltraud Balzer mit dem Titel „Frühe Mission, adelige Stifter und die Anfänge des Bischofssitzes in Münster“ (siehe unten Anmerkung).

Nach einem Briefgedicht von Alkuin ist Beornrad in den 770er Jahren Mitglied des Hofes Karls des Großen geworden. Er war Alkuins Cousin und verwandt mit dem Wandermönch Willibrord, dem ersten Abt des Klosters Echternach, dessen zweiter Nachfolger er wurde. Beornrad war zu einem unbekannten Zeitpunkt von Northumbria auf das europäische Festland gezogen. Alkuin wiederum (*735 in der Nähe von York in Northumbria; † 19. Mai 804 in Tours?) war als frühmittelalterlicher Forscher und Denker der wichtigste Berater Karls des Großen. Er galt als größter Gelehrter seiner Zeit, stieg auf zu Karls einflussreichstem Ratgeber in Staats- und Kirchenfragen, wenn er mit ihm auch nicht immer einer Meinung war, und leitete die Hofschule Karls des Großen, der Beornrad angehörte.

Beornrad trug im gelehrten Hofkreis des Kaisers einen Beinamen. Karl nannte ihn Samuel und verwies damit auf einen der großen Propheten des Alten Testaments. Das deutet auf eine besondere Wertschätzung Beornrads durch Karl den Großen hin, der sich selbst als neuer David verstand. Samuel hat laut biblischem Bericht das Volk zu den oft vergessenen Satzungen Gottes zurückgeführt und David zum König gesalbt.
„Es hat sowohl in Friesland als auch im Südergau eine Echternacher Mission unter dem Abt-Erzbischof Beornrad gegeben,“ hält Edeltraud Balzer fest und fährt fort, „sie lässt sich durch Echternacher Schenkungsurkunden, einen Brief Alkuins und Kirchenpatrozinien belegen, die ein Netzwerk von Schutzheiligen über das westsächsische Missionsgebiet ausbreiteten. Dabei ist die Reliquienauswahl und -transferierung deutlich geprägt von der Einflussnahme durch den Missionsbeauftragten Beornrad.“
Karls älteste Tochter Rotrud (Hrotrud), die wusste, was sie wollte, trug, wie auch Beornrad, am Hof ein Pseudonym. Karls wichtigster Berater Alkuin, der frühmittelalterliche Gelehrte, sprach Rotrud in seinen Briefen zuweilen mit ihrem Beinamen Columba an. Das bedeutet, dass der Taufort Oelde eine besondere Stellung bei Karl dem Großen, seiner Tochter und Beornrad genoss.
Liesborn, Ahlen, Beckum, Oelde, Warendorf und Telgte kommen „als Orte früher Tauf- und Missionskirchen im südlichen Teil des Bistums Mimigernaford/Münster wegen der Patrone und der ihnen noch in den Registern des 17. und 18. Jahrhunderts besonders zahlreich zugeordneten Bauerschaften in Betracht.“ So lautet das Ergebnis der Untersuchungen. Es fällt auf, dass Ahlen mit dem Apostel und Märtyrer St. Bartholomäus, Beckum mit dem Erzmärtyrer St. Stephanus und Oelde mit dem Täufer St. Johannes allesamt biblische Personen als Patrone verehren. Zu den Dreien gesellt sich in Ennigerloh der Apostel und Märtyrer Jakobus der Ältere.
Furten als besonders geliebte Tauforte - Ein Bach spendet das Wasser
Bei der Anlage von Taufstellen und Kirchen spielte die Lage der Orte eine Rolle. Mit dem Rathausbach (Köttelbecke) führt in Oelde ein Bach direkt an der Kirche entlang, der mittels einer Furt durchquert wurde. Furten sind bei der Missionierung gesuchte Orte, benutzen sie doch viele Menschen.
Hier ist Wasser vorhanden, das zur Taufspendung gebraucht wird. Jahrhunderte lang befand sich unweit der Kirche am Übergang von der Langen Straße zum Markt eine Furt, die durch den Rathausbach führte. Sie ist noch vorhanden, aber seit den 1890er Jahren überbaut.

Am Verlauf des Rathausbaches, eigentlich Köttelbecke genannt, dürfte zwischen Markt und Carl-Haver-Platz die Oelder Taufstelle gelegen haben. Weil in der Marienkapelle der St.-Johannes-Kirche eine öffentliche, von der EU geförderte Toilette entstehen soll, empfiehlt es sich, den Bereich vorher genau unter die Lupe zu nehmen, damit im Boden nichts zerstört wird.
Liesborn, Beckum, Freckenhorst und Warendorf, allesamt Nachbarn zu Oelde, werden zu den Urpfarren des Bistums Münster gezählt. Auch Wiedenbrück gehört zu den frühen Pfarrgründungen. Vielfach wurden solche Orte dank archäologischer Tätigkeiten als frühe christlich-kirchliche Stätten erkannt. In Oelde fanden zwar am Rande der Stadt aufschlussreiche Grabungen statt, doch nie im Innen- und Außen-Bereich der Kirche. Archäologisch lässt sich also bisher nicht beweisen, dass Oelde ebenfalls zu den Urpfarren zählt, wenn auch bekannt ist, dass sich unter dem Chor der Kirche ein heute mit Sand gefüllter, ansonsten unzugänglicher Raum befindet, der einst als Krypta oder Taufstelle zur Verfügung stand oder später als Begräbnisstätte gedient haben könnte, was bisher nicht überprüft wurde.
Kirchliche Unterwelt: Grabgewölbe - Ein Ausflug in die Archäologie

Einige Hinweise auf den Bodenbefund in und an der Johanneskirche sind bekannt. Bis 1819 befand sich um die Kirche herum der Friedhof, der bis heute noch bei Grabungen seinen ursprünglichen Zweck nicht zu leugnen vermag. Grabungen, die erfolgt sind, fanden stets ohne bodendenkmal-pflegerische Begleitung statt. Die größte bauliche Veränderung erfolgte von 1863 bis 1869 mit der Erweiterung der Kirche um die Hälfte zum Westen hin.
1889 hat Pfarrer Thier zum Berge in der Pfarrchronik vermerkt: „Auch in diesem Jahr habe ich danach gestrebt, mit der Restauration der Pfarrkirche weiter zu kommen. … Die Grabgewölbe unter dem Chor sind nicht ursprünglich, sondern aus späterer Zeit, denn bevor ein Fuß abgetragen war, stießen die Arbeiter auf die Gewölbe, die also ein bis zwei Zoll abgehauen werden müssten; an einigen Stellen hatte dieser unterirdische Raum keine Gewölbe, sondern war mit Steinplatten belegt, ich habe diese entfernen und Gewölbe einsetzen lassen. Der Eingang zu diesen Räumen war ursprünglich von dem Innern der Kirche und – diesen Eingang fand ich vor, er war vermauert.“
Weiter schreibt der Pfarrer: „Neben diesem Eingang (in der Mitte der Kommunionbank) fand ich einen Raum, angefüllt mit menschlichen Überresten, etwa sieben bis acht Schädel, von denen drei sehr gut erhalten waren; ich habe sie auf dem Friedhof beisetzen lassen; … wahrscheinlich rührten diese jetzt aufgefundenen Schädel und Knochen von einer früheren Entleerung her.“-
„Der Bodenbelag bestand bisher aus gewöhnlichen hiesigen Bruchsteinen. Als ich etwa zwei Fuß unten tiefer graben ließ, stießen die Arbeiter auf den ursprünglichen Belag, bestehend aus viereckigen, kleinen, rot gebrannten Steinplatten. Nachdem das Chor nun einen Fuß tief ausgegraben und schön geebnet war, wurde die neue Flur gelegt (vorsichtig noch einige Zoll Sand – sodann Zement). Der neue Belag besteht aus schönen Mettlacher Mosaiksteinen.“
Im Jahr 1915 notierte Pfarrer Haard in der Pfarrchronik: „Bei Einbau der Kirchenheizung und Anlage des Kamins, der in der Kirchenwand hinter dem südlichen Seitenaltare durchgeführt wurde, stellte sich die interessante Tatsache heraus, dass der erste südliche Außenpfeiler der alten ursprünglich gotischen einschiffigen Kirche in der Wand eingemauert war.“
Schließlich sind 1981 Arbeiten in der Kirche vorgenommen worden, um den Altarraum zu verändern und die Heizung zu erneuern. Dabei wurde das Chor geöffnet, sodass die Gewölbe unter dem Chor zu sehen waren. In dem frei geschaufelten Graben vor dem Choraufgang wurden viele menschliche Überreste gefunden, die allesamt würdevoll auf dem Friedhof unter die Erde kamen.

Johannes und Columba: Wer hat eigentlich diese Patrone ausgewählt?
Zurück zur Frage: Wann ist Oelde christlich geworden? Kann die Archäologie (noch) keine Antwort geben, so bietet es sich an, die Oelder Patrozinien unter die Lupe zu nehmen. Die Historiker haben sich mit diesem Wissenschaftsgebiet inzwischen intensiver beschäftigt. In Oelde werden Johannes der Täufer und die heilige Märtyrin Columba als Patrone verehrt. Zur Patronin bemerkt E. Balzer (siehe unten): „Bevor Liudger 792/93 nach Mimigernaford kam, hatte der Echternacher Abt und spätere Erzbischof von Sens Beornrad (†797) im westlichen Sachsen die Mission geleitet und mit seinen Missionshelfern die Errichtung von ersten Kirchen angestoßen, u. a. der Eigenkirche St. Marien in Mimigernaford, der Columba-Kirche in Oelde und der Willibrord-Kirche in Burgsteinfurt sowie der Kirchen St. Gudula in Rhede und St. Lambertus in Coesfeld.“ Der Patron St. Johannes d.T. zeigt zuvorderst an, dass an einem Ort in Oelde schon sehr früh getauft worden ist.

Columba und Johannes – das ist auf den ersten Blick eine sehr ungewöhnliche Zusammenstellung von Patronen bzw. Patrozinien. Es sei denn, da gibt es etwas, was die beiden Patrone miteinander verbindet.
In Oelde stößt man bekanntlich zuerst immer auf Johannes den Täufer als Pfarrpatron, der in der Bibel eine überragende Rolle spielt. Die heilige Columba indes, ihres Zeichens Jungfrau und Märtyrerin des dritten Jahrhunderts, geriet als Patronin im Laufe der Zeit fast völlig in Vergessenheit, aber eben doch nicht ganz.

Bei der Suche nach einer Antwort wirkt Beornrad sozusagen als Katalysator. Die Apostel Petrus und Paulus waren nach der Dreifaltigkeit, der Gottesgebärerin Maria und neben Johannes dem Täufer Patrone des Klosters Echternach, dem Beornrad als Abt vorstand. Später wurde der enge Vertraute Karls des Großen zugleich Erzbischof von Sens. Die im Umfeld seiner Bischofsstadt Sens verehrten Heiligen wie z. B. Stephanus und nicht zuletzt Columba von Sens, die 4 km von Sens entfernt in einer von Chlotar II. gegründeten Abtei verehrt wurde, dürfen deshalb als deutliche Spur für Beornrads Mission in Westsachsen aufgenommen werden. Somit steht schon einmal ziemlich sicher fest, dass die beiden Oelder Patrone Johannes und Columba einen direkten Bezug zu Beornrad aufweisen.
Noch etwas fällt auf. „Die Kirche zu Billerbeck zählt zu den Urpfarren des Bistums“, publiziert Werner Thissen in ‚Das Bistum Münster‘ Band III, „und wurde wahrscheinlich nach 780 durch Abt Beornrad im Missionsbezirk Münster gegründet.“ Nur zwei St.-Johannes-Patrozinien aus der Gründungszeit des Bistums sind überliefert; in Oelde und in Billerbeck. Beide wurden von Beornrad geschaffen. Nahe der St.-Johannes-Kirche in Billerbeck, die sein Vorgänger ins Leben gerufen hat, ist Bischof Liudger am 26. März 809 gestorben.

Des Pfarrers Liebling Columba
Die hl. Columba (auch Kolumba geschrieben, vor allem in Köln) ist eine Jungfrau, die christlicher Überlieferung nach im 3. Jahrhundert in Sens (oder nach einer anderen Quelle in Saragossa) gelebt hat. Sie erleidet den Märtyrertod auf dieselbe Art und Weise wie Johannes der Täufer, der andere Oelder Pfarrpatron, der ebenfalls mit dem Schwert hingerichtet wird.
Die Oelder Pfarrei besitzt ein fast unbekanntes Juwel, ein Graduale (liturgisches Buch) aus den Jahren zwischen 1480 und 1530. Darin hat Pfarrer Menso Zegesinck (1481-1530) mit einigen Gehilfen unter anderem die Lebens- und Leidensgeschichte der hl. Columba in lateinischer Sprache in vielen Strophen ausführlich und anschaulich geschildert, geschmückt mit farblich feinen Initialen.
Höhepunkt der Propriums-Texte zum Fest der hl. Columba am 31. Dezember ist eine Sequenz, die die Geschichte der Pfarrpatronin ausführlich schildert. Eine Sequenz ist ein im Mittelalter aus dem Halleluja der Eucharistiefeier erwachsener zusätzlicher Zwischengesang an vielen Festen, im Gottesdienst verpflichtend heutzutage allerdings nur noch an Ostern und Pfingsten. Pfarrer Zegesinck gebührt Dank dafür, dass er dieses liturgische Oelder Juwel durch Niederschrift der Texte erhalten hat.
Im Oelder Graduale von Pfarrer Zegesinck ist das Proprium (wechselnde Elemente – Eigentexte – der Liturgie) zum Fest der hl. Columba über acht Seiten ausgebreitet, versehen mit einer (unten in vollem Umfang wiedergegebenen) ausführlichen Sequenz. Zu jener Zeit standen Sequenzen im Gottesdienst allgemein noch hoch in Blüte; heute gelten sie als Wurzelboden des volkssprachlichen Liedes. In roter Schrift hat der Autor vor dem Introitus (Eingangsvers) in „Kirchenlatein“ vermerkt: Colube virginis patrone hui ecclie; also: „Der Jungfrau Columba, Patronin dieser Gemeinde.“ Als Autor hat sich in dem Graduale der Pfarrer selbst mit der Jahreszahl 1530 ausgewiesen.
Columba-Patrozinien gibt es in Deutschland nur an drei Orten – in Oelde (Bistum Münster), in Pfaffenweiler (Erzbistum Freiburg) und in Köln (Erzbistum Köln). Die heutige Kölner Marienkapelle St. Kolumba ist eine 2007 in den Neubau des Erzbischöflichen Diözesanmuseums „Kolumba“ integrierte Andachtsstätte. Ihr Ursprung geht zurück auf das Jahr 980, als St. Kolumba mit bis zu 10.000 Gemeindemitgliedern und von ihrer geographischen Ausdehnung her die größte Pfarrgemeinde der mittelalterlichen Stadt Köln war. Die Kirche wurde 1943 fast völlig zerstört. An ihrer Stelle steht nun das Kolumba-Museum mit einer Marien-Kapelle zur Erinnerung an Kolumba.
In Oelde tragen zwei Glocken von 1522 im Johannes-Turm die Namen Maria und Columba. Eine zweite Glocke kam 1997 hinzu, die nun auch schon einige Jahre zu Ehren beider Pfarrpatrone oben im Turm schwingt. Sie ersetzt eine Glocke von 1718, die Johannes d. T. gewidmet war und in den Wirren des Ersten Weltkriegs verkauft und geschreddert wurde.
Das Vorhandensein von Glocke und Graduale legt nahe, dass Oelde in einer langen Columba-Tradition steht, die tief in der Volksfrömmigkeit verankert war, sodass sie auch in rauen Zeiten nicht verloren ging. Warum sonst hätte die Gemeinde 1522 für ihre neue Kirche wieder eine Columba-Glocke anschaffen sollen?
Gib hier deine Überschrift ein
Liudger hat die Arbeit des Wegbereiters Beornrad fortgesetzt, vornehmlich als ‚pastor‘, also Seelsorger. Altfrid, ein Verwandter Liudgers und Münsters dritter Bischof, hat später das Wirken des Heiligen Liudger in der Schrift „Vita sancti Liudgeri“ festgehalten. Darin kommt es ihm vor allem um die Verherrlichung der Persönlichkeit Liudgers an. Beornrad wird im 18. Kapitel zwar nebenbei erwähnt, aber über dessen grundlegende Missionsarbeit schweigt Altfrid. Sie tritt nun aufgrund akribischer Forschung immer deutlicher ins Licht.

Um eine Kirche zu gründen und zu bauen, waren Reliquien unabdingbar. Ohne Überreste eines Heiligen ging dabei gar nichts. Wahrscheinlich hatte Beornrad also Reliquien der heiligen Columba aus Sens, wo sich ihr Grab befand, im Rucksack. Johannes-Reliquien für eine Taufstelle am Bach wurden nicht eigens benötigt. Aber wie man Karl den Großen und seinen Lehrer Alkuin kennt, verbirgt sich hinter den Namen der beiden Patrone Johannes und Columba eine Aussage oder Botschaft.
Der Täufer Johannes als Patron weist wohl ausdrücklich darauf hin, dass in Oelde getauft worden ist. Die Bibelstellen, in denen die Taufe Jesu im Jordan geschildert wird, weist Johannes aus, der Jesus tauft, während die Stimme Gottes erschallt und der Heilige Geist in Form einer Taube auf Jesus herabsteigt. Das ist ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit. Die Taube ist zudem das Symbol der Versöhnung mit Gott durch die Taufe.

Die Taube und der Heilige Geist
Columba? Ihr deutscher Name, aus dem Lateinischen übersetzt, heißt ‚Taube‘. Über die Taufe Jesu im Jordan berichten alle vier Evangelisten in der Bibel, dass nach der Taufe durch Johannes der Geist Gottes wie eine Taube auf Jesus herabschwebte. Wie eine Taube! Es ist also nicht allein das legendäre Leben und Leiden der hl. Columba, das sich im Columba-Patrozinium spiegelt, sondern es ist vor allem der Name der Heiligen, der Aussagekraft besitzt. Er ist zugleich Symbol, denn Columba, die Taube, meint zuerst den Heiligen Geist.
Die Oelder Kirche ist zwar nicht unbedingt eine Zentralkirche im Bistum, hat aber infolge ihrer Patrone ihre Bedeutung. „Der Täufer und die Taube“ markieren mit Oelde offensichtlich einen der frühesten Tauforte im Bistum Münster.
Das Oelder Wappen weist ein silbernes umrandetes blaues Wappenschild auf, das in der unteren Hälfte eine nach oben geöffnete silberne Mondsichel zeigt. Aus ihr steigt ein sechsstrahliger silberner Stern auf. Das heißt: Voller Freude bezeugt der Täufer über Jesus: „Er muss wachsen, ich aber geringer werden (Joh 3,30).“
Interessant ist, dass es im Bistum Münster als Patrone drei heilige Frauen als Patrone gibt, deren Reliquien früh übertragen wurden. Es handelt sich um die hl. Columba von Sens nach Oelde, um die hl. Regina nach Drensteinfurt sowie die hl. Petronilla nach Wettringen.
Während archäologische Untersuchungen also zur frühen Geschichte der Oelder Pfarre bisher nicht vorliegen, sind es mithin die Patrozinien der heiligen Columba und des Täufers Johannes, die die Pfarrei Oelde als Urpfarrei ausweisen. 2012 hat der Bischof von Münster aus fünf Oelder Gemeinden eine Oelder Pfarrei gebastelt. Zum Patron wurde aus Tradition Johannes der Täufer bestimmt; die hl. Columba dagegen wurde als „gleichberechtigte“ Mitpatronin geflissentlich übersehen.

Zusätzlich sei erwähnt: Eine Pfarrei Oelde wird erstmals 1188 im „Guterverzeichniss Graf Henrichs von Dale“ erwähnt. Des Grafen Burg lag in Bork bei Selm. Er verfügte über reichlich Besitz, unter anderem „in parrochia Olede domus apud claustrum Lette“, besaß also „in der Pfarrei Oelde ein Haus bei dem Kloster Lette“.
Zur Pfarrei Oelde gehörten damals laut heutigem Erkenntnisstand Lette, wie ersichtlich, sowie ganz oder teilweise Stromberg und Sünninghausen, Ostenfelde und möglicherweise auch Teile von Westkirchen.
Die im Grabungsgebiet Weitkamp im Kirchspiel Oelde gefundenen zwei Kreuzfibeln aus etwa der Mitte des 9. Jahrhunderts befinden sich inzwischen im Museum Liesborn. Es sind älteste Zeichen christlichen Lebens in Oelde. In der Kreuzabteilung des Museums sollen sie präsentiert werden und an Karl den Großen, Johannes und Columba sowie Beornrad und Liudger erinnern. Letztlich aber bleibt die Antwort auf die Frage „Wann ist Oelde christlich geworden?“ weiterhin höchst interessant.
Anmerkung: Dieser Beitrag soll keine wissenschaftliche Arbeit sein, sondern will erzählen, was bekannt ist oder sich ableiten lässt, Irrtümer inbegriffen. Wer sich über die Missionsgeschichte jener Zeit, auch über Columba und vor allem Beornrad, ausführlicher informieren möchte, sollte unbedingt den mit vielen anderen neuen Erkenntnissen der Geschichtsforschung angereicherten, ausführlichen Aufsatz „Frühe Mission, adelige Stifter und die Anfänge des Bischofssitzes in Münster“ von Edeltraud Balzer lesen. Er wurde zweiteilig publiziert in den Ausgaben Nr. 160 und 161 der Jahrgänge 2010 und 2011 der „Westfälischen Zeitschrift“.
Hilfreich dabei ist die Lektüre des Buches „Von der karolingischen Mission zur Stauferzeit, Beiträge zur früh- und hochmittelalterlichen Genschichte Westfalens vom 8.-13. Jahrhundert“ von Professor Paul Leidinger, erschienen 2012 als Band 50 der Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Warendorf. Als Professor Leidinger am 28. Januar 2014 im Museum Abtei Liesborn zum 1200. Todestag Karls des Großen seinen höchst aufschlussreichen Vortrag über den bedeutenden Kaiser hielt, hat er mit Verweis auf Columba hervorgehoben, dass auch Oelde zu den Urpfarren des Bistums Münster zu rechnen sei. Hinweise auf weitere Literatur zum Thema und Autoren finden sich reichlich in den beiden vorgenannten Schriften.
Das Oelder Columba-Graduale von 1480/1530
Die Heilige in Flammen
Wenn am 31. Dezember die Messe zu Ehren der heiligen Columba gefeiert wird, steht der Gemeinde in einem Graduale (Choralbuch) von 1480/1530 ein eigenes Proprium (wechselnde Elemente – Eigentexte der Liturgie) mit Introitus, Alleluja-Vers, Sequenz (Ausweitung des Rufes vor dem Evangelium), Offertorium und Communio in Latein zur Verfügung. Die Columba-Sequenz mit deutscher Übersetzung ist nachfolgend abgedruckt.
Das Bild rechts zeigt die hl. Columba in einem der Kirchenfenster.

Proprium am Fest der hl. Columba - Pfarrpatronin in Oelde
Introitus | Zum Einzug |
Benedicta et venerabilis es, virgo Columba, quae mundum Christo thalamum praeparasti, tuo salvatori. | Gesegnet und verehrungswürdig bist du, Jungfrau Columba, die du Christus, deinem Heiland, ein reines Brautgemach bereitet hast. |
Halleluja-Vers | |
Virgo sancta, sponsi caelestis sponsa, nostra tu, clemens Columba, tuorum suscipe precamina, alleluja; o quam praeclara virginum palma et veneranda martyrum gloria, unde felix Columba in caelestibus coronata triumphavit. | Heilige Jungfrau, Braut des himmlischen Bräutigams, nimm an, gnädige Columba, unsere Bitten, die Bitten der Deinen, Alleluja. Sieh an, welch herrlich junge Frau sie ist, welch ehrwürdiger Glanz der Märtyrer. Gekrönt triumphiert die selige Columba im Kreis der Himmlischen. |
Sequenz | |
Triumphator mortis, Christe | Christus, Sieger über den Tod, |
tibi psallat chorus iste | unser Chor singt dir dieses Lied |
triumphali gaudio. | in jubelnder Freude. |
Vota solvit plebs fidelis, | Dein treues Volk erfüllt seine Gelübde; |
quae respicias de caelis | schau unter Columbas Fürsprache |
Columbae suffragio. | vom Himmel aus darauf nieder. |
Quae primaeva rudimenta | Sie hat Prüfungen in der Jugend |
transtulit in documenta | verwandelt in Musterbilder |
divinae scientiae. | voll göttlicher Weisheit. |
Et dum vixit in hoc mundo, | Solange sie auf Erden weilt, |
deservivit corde mundo | dient sie mit reinem Herzen |
caelesti potentiae. | der himmlischen Macht. |
Hanc adduci iudex mortis | Der Todesrichter lässt sie vor sich zerren, |
sibi iubet, sed mens fortis | doch die tapfere Jungfrau |
virginis non fallitur. | lässt sich nicht kleinkriegen. |
In congressu quaestionis | Im Prozessverlauf treten |
mutuae professionis | die Unterschiede des jeweiligen |
ratio proponitur. | Denkens deutlich zutage. |
Hic per regum sanctionem | Der Richter mahnt gemäß der |
monet idolatriam; | Könige Gebote zum Götzenkult |
Virgo Christi passionem | die Jungfrau indes preist Christi Leiden |
praedicat ad gloriam. | zur Ehre des Herrn. |
Inter verba fit conflictus, | Vor Gericht kommt‘s zum Streit, |
sed puellae iudex victus | doch von des Mädchens Antworten |
responsis confunditur. | matt gesetzt, wird der Richter irre. |
Nullis, inquam, blandimentis | Durch keine, ich betone, Verlockungen, |
neque minis nec tormentis | noch durch Drohung, noch durch Qualen |
mens puellae frangitur. | wird die junge Frau schwach. |
Hanc non movent blandimenta, | Schmeicheleien überhört sie, |
nec formidat haec tormenta | fürchtet weder Folter oder Marter, |
neque minas iudicis. | noch des Richters Strafen. |
Iudex coepit contristari, | Des Richters Miene verdüstert sich; |
iubet illam deflorari | vor aller Augen will er |
locis tractam scaenicis. | die junge Frau schänden lassen. |
Ad hanc intrat homo moechus | Auf sie zu springt ein Scheusal, |
insanus et mente caecus, | wild verroht im Herzen, |
ut defloret virginem. | um die Jungfrau zu demütigen. |
Pia virgo tunc precatur, | Doch das fromme Mädchen fleht, |
ut non tanti patiatur | solch eine scheußliche Tat |
sceleris voragine(m). | nicht erdulden zu müssen. |
O mirandum vere signum: | O welch wundersames Zeichen: |
ursa venit, quae malignum | eine Bärin streift daher und zerrt |
pedibus supposuit. | den Bösewicht unter ihre Krallen. |
Sed ad ursam virgo fatur, | Der Bärin jedoch gibt das Mädchen |
ne sic moechus moriatur; | zu verstehen, den Unhold nicht zu töten. |
tunc evasus fugiit. | der entwischt und kommt davon. |
Iudex iubet hanc comburi, | Da befiehlt der Richter, sie zu verbrennen, |
sed non potest domus uri | doch das Haus kommt nicht zum Brennen, |
irrigatis ignibus. | denn die Flammen löscht der Regen. |
Tunc incepit debachari | Schließlich dreht er vollends durch; |
et Columbam decollari | befiehlt den Henkern, |
praecepit tortoribus. | Columba das Haupt abzuschlagen. |
Sed priusquam decolletur, | Doch bevor sie enthauptet wird, |
sponsum Christum ut precetur, | erbittet sie eine Frist, um zuvor noch |
impetrat indutias. | zu Christus, ihrem Bräutigam, zu beten. |
Tandem virgo decollata | Zu guter Letzt zieht die Jungfrau vom Schafott |
gaudens venit coronata | voller Freude mit der Marterkrone |
ad regales nuptias. | zum königlichen Hochzeitsmahl. |
Audi, sponsa summi regis, | Höre, Braut des höchsten Königs, |
et subiecti tibi gregis | und erhöre das Flehen |
exaudi precamina. | deiner dir getreuen Herde, |
Ut, qui tibi famulantur, | dass alle, die hier dir dienen, |
te ducente perducantur | unter deiner Führung in die Schar |
ad sanctorum agmina. | der Heiligen geleitet werden. |
Virgo sancta, tua prece | Heil‘ge Jungfrau, durch deine Fürbitte |
nos a mentis munda faece | reinige uns von unserer Schuld |
et ab omni macula. | und allen Sünden, |
Ut nos tecum collaetemur | dass wir uns mit dir freuen |
et cum Christo gloriemur | und Christus rühmen dürfen |
per aeterna saecula. | von zu Ewigkeit zu Ewigkeit. |
Offertorium (wie am Hochfest Johannes d.T.) | Zur Gabenbereitung |
In virtute tua, Domine, laetabitur iustus. Et super salutare tuum exsultabit vehementer: desiderium animae eius tribuisti ei. | An deiner Macht, Herr, freut sich der Gerechte, und über dein Heil frohlockt er laut. Seinen Herzenswunsch hast du ihm erfüllt. |
Communio | Zur Kommunion |
Quinque prudentes virgines acceperunt oleum in vasis suis cum lampadibus. | Die fünf klugen Jungfrauen nahmen mit den Lampen auch Oel in ihren Gefäßen mit. |
Media autem nocte clamor factus est: ecce, sponsus venit, exite obviam Christo domino. | Mitten in der Nacht aber erhob sich der Ruf: Siehe, dein Bräutigam kommt. Zieht Christus entgegen, dem Herrn. |

Im Oelder Graduale gibt es zwar keine bunten Bilder, aber viele Initiale mit Farbschmuck. Sie machen das Buch zu etwas Besonderem. 1530 haben es Pfarrer Zegesinck und seine Gesellen geschrieben und ausgemalt. Einige der Initiale sind hier am Rand veröffentlicht.



Am Sakramentshaus in St. Johannes, gewidmet 149, ist der damalige Pfarrer Menso Zegesinck, der 1530 das Graduale verfasste, mit seinem Wappenzeichen verewigt.





Im Bestand an Kaseln in St. Johannes befindet sich auch eine Kapelle mit mehreren Gewändern, die an die Pfarrpatrone erinnert. Das Bild zeigt die Darstellung der hl. Columba.

